Haushaltsrede 2019

Dr. Peter Büttner, 28.01.2019

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren

Der Bürgermeister hat in seiner Einführungsrede zum Haushalt 2019 große Worte bemüht: In den letzten Monaten sind, so sagt er, historische Entscheidungen in unserer Stadt getroffen worden; Rekordinvestitionen mit guter Refinanzierung werden getätigt, Visionen für die weitere Stadtentwicklung formuliert und ein Paradigmenwechsel auf vielen Bereichen, im Verwaltungshandeln und im politischen Raum wird reklamiert.

Und in der Tat:

Viele neue Projekte sind in den letzten Monaten bewegt, entschieden und teilweise bereits begonnen worden. Dazu gehören Projekte, deren Auswirkungen weit in die Zukunft dieser Stadt hineinreichen und, wenn sie denn gelingen, in der Tat das Stadtbild sowie bestimmte Abläufe erheblich positiv beeinflussen können.

Hier sind mit großem Respekt und Anerkennung die persönliche Leistungskraft und das Engagement des Bürgermeisters zu betonen, das erheblich zur Realisierung all dieser Projekte beigetragen hat. Dazu zählen insbesondere das Geschick, große Visionen und Ideen auch finanzierbar zu machen. Ich denke dabei an die Inanspruchnahme ganz unterschiedlicher Fördertöpfe und Subventionen in einem Maße, wie wir das bisher so nicht erreichten. Nahezu alle Fraktionen haben im Grunde den Kurs mitgetragen und die politischen Voraussetzungen für die Umsetzung geschaffen. Für 2019 sind insgesamt ca. 10 Millionen Euro Investitionssumme im Haushalt eingestellt, im Rahmen von Verpflichtungserklärungen für die Jahre 2020 und 2021 – vorbehaltlich der parlamentarischen Zustimmung – weitere 11 Millionen. Dies alles beschreibt eine ungewöhnliche und bedeutende Dynamik in der Entwicklung dieser Stadt.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle – und dies ist ausdrücklich nicht destruktiv gemeint – einen Moment innehalten und Überlegungen anstellen, die diesen Prozess reflektieren und einige Aspekte beleuchten. In einer leichten Abänderung eines Zitates von Lichtenberg, möchte ich darauf hinweisen, „dass man nie so viel zu tun haben sollte (etwa mit Projekten und Visionen), dass man zum Nachdenken darüber (in Bezug auf ihre langfristigen Folgen und Nebenwirkungen) keine Zeit mehr hat“.

  1. Die eben geschilderte Dynamik und die schiere Anzahl der Projekte hat die Schlagzahl der Bearbeitungsrhythmik innerhalb der Verwaltung mit Sicherheit dramatisch erhöht. Insofern ist die Frage erlaubt und geboten, ob die Mitarbeiter in der Verwaltung den mit diesem umfassenden Paradigmenwechsel verknüpften Belastungszuwächsen gewachsen sind und ob Struktur- und Prozessqualität ausreichen, die Anzahl der Projekte adäquat zu bearbeiten und die Fehlerquote im Blick zu behalten.
  2. Es ist von außen deutlich zu erkennen, dass die Fokussierung und Priorisierung der neuen Projekte zu Staus im Tagesgeschäft führen. Dies kann auch gar nicht anders sein, da einer im Prinzip quantitativ unveränderten Verwaltung on top zusätzlich große Projekte zur Bearbeitung auferlegt worden sind. Es stellt sich also insgesamt die Frage, ob, sofern man irgendwo die Wahl hat, etwas weniger vielleicht mehr ist und ob die Staus im Tagesgeschäft beispielsweise ihrerseits Folgeprobleme auslösen und damit auch Chancen von Kostenminimierungen entgehen.
  3. Nahezu alle Akteure im politischen Raum tragen die Ihnen bekannten Projekte mit. Dass wir sie umsetzen können, ist vor allem auch der hohen Refinanzierungsquote aus Fördertöpfen und Subventionsaspekten geschuldet. Was ich aber bisher in der Debatte vermisse, ist ein systematischer Blick auf die zu erwartenden Folgekosten und Nachhaltigkeitseffekte, die später im laufenden Betrieb der einzelnen Projekte, z.B. in deren personeller und struktureller Bewirtschaftung, auflaufen werden.
  4. Viele Zahlen im Haushalt beruhen auf der Annahme einer weiterhin prosperierenden wirtschaftlichen Entwicklung, zumeist auf Zahlen und Schätzungen vom April 2018. Und in der Tat haben wir in der Bundesrepublik eine positive wirtschaftliche Entwicklung, die jedoch, wie sie sicherlich wissen, in den letzten Wochen durch veränderte Projektionen in die Zukunft negativer gesehen werden. Dies liegt an externen Faktoren, die wir selbstverständlich nicht beeinflussen können, gleichwohl aber wahrnehmen und ins Kalkül ziehen müssen. Das bezieht sich bspw. auf die nicht absehbaren Folgen eines ungeregelten Brexits oder auf die Folgen des sich vielleicht jeder Kontrolle entziehenden Handels- und Wirtschaftskonflikts zwischen China und Amerika und die Fortsetzung der Trumpschen Isolationspolitik, die unmittelbar Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung auch der Bundesrepublik haben wird. In einem worst case Szenario könnten dann die wirtschaftlichen Eckdaten und damit unsere finanzielle Leistungsfähigkeit in den nächsten Jahren sehr deutlich wieder zurückgehen. Ich zitiere: „Trotz der überaus positiven Prognosen sollte auch in Zukunft eine sparsame und maßvolle Haushalts- und Wirtschaftsführung gelten, um im Bedarfsfall Reserven für eine ggf. auch überraschend eintretende Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums aufrufen zu können“. Dieses Zitat stammt übrigens von der Kämmerin höchst persönlich, auf der Seite 62 des Haushaltsentwurfes. Ähnliche Passagen lassen sich auch aus der Einführungsrede des Bürgermeisters zum Haushalt 2019 bemühen, der auch darauf hinweist, dass man behutsam und vorsichtig agieren muss. Ich betone das deswegen, da es eine allgemeine Erfahrung ist, dass dynamische Aufbruchzeiten wie diese eine Eigengesetzlichkeit haben und uns schnell dazu verleiten können, Risiken zu minimieren und die erforderliche Vorsicht und Weitsichtigkeit zu missachten.
  5. Eine weitere mahnende Bemerkung richtet sich auf eine potentielle Gefahr solcher spezifischen dynamischen Situationen: Ich nenne es einmal die Gefahr der Hybris. Das heißt, Projekte werden aus der Begeisterung der Dynamik heraus mit Aufgaben oder Ideen überfrachtet – damit im Übrigen häufig teurer – die irgendwann nicht mehr zu den realen Bedingungen passen. Ein Beispiel ist die Diskussion um eine Kleinmarkthalle innerhalb des neuen Langerareals. Auch hier müssen rechtzeitig kritische Fragen gestellt werden, wie etwa, brauchen wir das wirklich und muss dafür spezifischer Raum gebaut werden?, ist die Kaufkraft dafür da?, macht dies – so es denn realisiert wird – nicht unmittelbar Konkurrenz zu bestehendem Einzelhandel und Supermärkten und ist dies dadurch schon kontraproduktiv?, haben wir genügend Akteure, die überhaupt bereit sind, hierfür das Risiko zu übernehmen und dauerhaft Leistungen vorzuhalten?, etc.
  6. Lassen Sie mich eine Weisheit aus der maritimen Welt bemühen: „Wer den Hafen nicht kennt, in den er Segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger“. Was uns noch immer fehlt, meine Damen und Herren, ist eine komplexe Gesamtstrategie für die Entwicklung der Stadt für einen mittelfristigen Zeitraum. Welche Ziele sind das, sind sie miteinander kompatibel, wer behält sie im Auge und koordiniert und evaluiert dies? Die bisherigen Versuche (etwa FH Fulda) waren unzureichend und sind ja auch eingeschlafen. Ein neuer Start hierzu ist dringend nötig, damit der bisherige dynamische Aufbruch nachhaltige Wirkungen zeigen wird.
  7. Meine Damen und Herren, auf den folgenden Aspekt hatte ich bereits in der letzten Haushaltsrede vor einem Jahr verwiesen:

Es ist ja unverkennbar, dass der neue Bürgermeister aus der Wirtschaft kommt, dass er betriebswirtschaftliches Denken in sich trägt und dass er viele Abläufe reorganisiert wie sie in einer effektiven und effizienten Weise in gut organisierten Wirtschaftsbetrieben selbstverständlich sind. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, respektabel und es war bitter nötig. Im Bereich der Einbindung von Mandatsträgern in Entscheidungsprozessen hat der Bürgermeister neue Wege der Transparenz und Kommunikation beschritten, die natürlich sachdienlich und zu begrüßen sind.

Aber:

Dies hier ist auch eine politische Gebietskörperschaft mit denen ihr immanenten Regeln und Zwängen. Eine totale Ausrichtung auf Managementziele und effektive Schlagkraft endet spätestens dann, wenn kein Raum mehr dafür da ist, dass sich Parteien, Fraktionen, Personen dem Wähler gegenüber nicht mehr profilieren und ihre eigene Identität aufzeigen können. Ein kommunales Stadtparlament hat legislativen Charakter und ist als Gegengewicht und Kontrollorgan zur Exekutive konstituiert und muss diesen Auftrag auch erfüllen. Insofern sind hier strukturelle Grenzen einer nur auf Konsens ausgerichteten gemeinsamen Aktionsgemeinschaft und das Ganze muss sorgfältig ausbalanciert werden.

  1. Die jüngste Entwicklung im Zusammenhang mit dem Bau der neuen Schnellbahntrasse wird uns vor große Herausforderungen stellen, insofern nun in einem überraschenden Prozess die ursprünglich favorisierte Bahntrasse VII durch die Deutsche Bundesbahn zugunsten der Bahntrasse IV modifiziert wurde, die die Interessen der Stadt Schlüchtern und ihrer Bevölkerung unmittelbar tangiert und hier insbesondere des Ortsteils Niederzell. Das Umschwenken der Bahn ist intransparent, nicht nachvollziehbar und erfordert eine totale Geschlossenheit sowohl der politischen Akteure und der Bevölkerung. Hier muss entschieden Widerstand geleistet werden, um alle Ansätze zu versuchen, die Bahn zu einer erneuten Modifikation dieser Planung zu bewegen.

Soweit die allgemeinen Überlegungen zur politischen Situation.

Einige Anmerkungen zu konkreten Aspekten des Haushalts 2019.

  1. Die Fortschreibung eines effektiven und effizienten bürgerorientierten Kindergartenwesens ist ein entscheidender Aspekt bei der Qualität des Wohnorts Schlüchtern und der damit verknüpften Hoffnung auf weitere Zuzüge junger Familien. In meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Sozialausschusses haben wir diese Entwicklung ja dort umfänglich begleitet und vorangetrieben. Die damit verknüpften Kostensteigerungen, insbesondere im personellen Bereich, sowie die kommenden Anforderungen an Neubauten von Kindergärten – insbesondere im Innenstadtbereich – werden von unserer Fraktion vollständig mitgetragen und erscheinen uns alternativlos. Auch die Investition für eine vorübergehende containerbasierte Lösung, um den aktuellen Platzbedarf zu befriedigen, ist folgerichtig aus der politischen und inhaltlichen Debatte im Sozialausschuss und hier in diesem Haus abzuleiten und kann nur unterstützt werden.
  2. Der Ansatz, Kulturpolitik neu aufzustellen, ist zu begrüßen. Unsere Fraktion hatte in den letzten Jahren mehrmals Versuche unternommen, etwa durch die Idee einer ausgelagerten Kulturorganisation, Kultur aus dem politischen Raum zu lösen, sie sozusagen selbstregulativ in eine neue Qualität zu führen. Die bisherigen Ansätze, sowohl verwaltungsintern wie im Rahmen von Debatten innerhalb des Ausschusses für Soziales und Kultur lassen hoffen, dass hier ein neuer Anfang gemacht wird, der hilft, dass in einer gleichberechtigten Weise aller kulturtragenden Akteure Wege der Organisation und Finanzierung gefunden werden, die auch hier einer neuen Entwicklung Raum gibt.
  3. Meine Damen und Herren, lassen sie mich eine kurze Bemerkung zur Hessenkasse machen. Es ist ja sehr begrüßenswert und letztendlich für uns auch im finanziellen Kontext sehr günstig, dass über diesen Weg der Kassenkredit als Verbindlichkeit zunächst abgelöst wurde. Es ist dabei aber nicht zu vergessen und es hat einen unmittelbaren Bezug auf meine Bemerkungen vorhin im Kontext der Wirtschaftlichkeit und der Behutsamkeit, dass das nicht umsonst zu bekommen war. Von den 14 Millionen Kontokurrentschulden wird nur die Hälfte übernommen, die andere Hälfte müssen wir in den nächsten Jahren jährlich mit etwa 400.000 Euro zurückbezahlen. Darüber hinaus müssen wir an jedem Jahresende zukünftig ein ausgeglichenes laufendes Konto haben und es muss bis 2022 ein Liquiditätspolster von 650.000 Euro nachweislich am Ende eines jeden Haushaltsjahres stehen. Dies alles sind wirtschaftliche Herausforderungen die nicht einfach so zu realisieren sind und deren Umsetzung von vielen externen und internen Prozessen und Variablen abhängen. Die Struktur der Hessenkasse entbehrt im Übrigen nicht einer gewissen Paradoxie: die aufgelaufenen 13 bis 14 Millionen Kassenkredit waren letztendlich Verbindlichkeiten, die dem insgesamten Schuldenstand der Stadt zuzurechnen waren. Dass wir überhaupt in einen solchen Schuldenstand hineingeraten sind, hat selbstverständlich auch interne Gründe, wie etwa Fehlentscheidungen bei Investitionen etc. Aber vor allem ist sie der kommunalen Unterfinanzierung der letzten Jahrzehnte geschuldet. Etwa die Nichtbeachtung des Konnexitätsprinzip sowie die unzureichende Finanzausstattung der Kommunen waren hierfür die zentralen Hauptursachen. Dass also die politische Ebene, die für diesen Systemfehler verantwortlich war, nun sozusagen in einem Gnadenakt eine Hessenkasse konstituiert, von den aufgelaufenen und durch sie verursachten Schulden die Hälfte gnädig übernimmt und mit den Rückzahlungsmodi für die zweite Hälfte erneut Bedingungen stellt, wie sie ein normaler Kreditgeber gegenüber einem Schuldner formuliert, da steckt eine gewisse Chuzpe drin und es hat einen fahlen Beigeschmack, zumal der grundlegende Systemfehler nach wie vor besteht und unter anderen Rahmenbedingungen sich sofort wieder auswirken wird. Dann allerdings sind wir durch immanente Auflagen der Hessenkasse in unserer Handlungsfähigkeit eingeschränkt.
  4. Meine Damen und Herren, in der Haushaltsvorlage befinden sich mehrere Positionen, deren Überprüfung wir bereits vor einem Jahr beantragt hatten und mit großer Mehrheit auch in diesem Hause beschlossen wurden. Dies bezieht sich bspw. auf die vertragliche Struktur und die Finanzierung des Hortangebotes durch den CJD, wo aus unserer Sicht durch die Modifikation dieses Leistungsangebotes und des zahlenmäßigen Rückgangs zwingend Vertragsänderungen und damit Kostenreduktionen herbeigeführt hätten werden müssen. Gleiches gilt für die vertragliche Struktur und die Ausführungsqualität der Schulsozialarbeit durch den Landkreis sowie die Subventionen einiger sozialer Organisationen, die bis heute keinen Leistungsnachweis erbracht haben. Ich erinnere heute nochmal nachdrücklich daran, diese Projekte – und hier ist die Querverbindung zu meiner Bemerkung zur Einschränkung des Tagesgeschäfts – nicht aus dem Blick zu verlieren und sie zeitnah und konsequent umzusetzen, da hier jedes Jahr Kosten produziert werden, die unter Umständen zu reduzieren oder ganz einzusparen wären.
  5. Meine Damen und Herren, wir sind mitten in der Umsetzung und Realisierung der Baugebiete Brunkenberg und Wallroth. Aber dies wird nicht reichen. Wenn die Entwicklung, die in den vielen Projekten angelegt ist, tatsächlich so kommt, brauchen wir weitere Möglichkeiten auch der räumlichen Expansion und der Zurverfügungstellung von Bauland und Wohnungsflächen. Von daher werden wir beantragen, dass im Haushalt 10.000 Euro für die Planung weiterer Baugebiete eingestellt wird, um die Bedeutung dieses Prozesses einerseits symbolisch zu unterstreichen und andererseits die materiellen Grundlagen zu sichern.

Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird diesem Haushalt zustimmen. Jenseits von Detailkritik und den mahnenden und nachdenklichen Bemerkungen ist der Haushalt 2019 an den kommenden Herausforderungen angemessen orientiert und konfiguriert.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei Frau Kolhepp für die wie immer verlässliche und professionelle Aufstellung dieses Haushalts und für die Bereitschaft, bei allen Nachfragen engagiert und konstruktiv zur Verfügung zu stehen. Gleiches gilt selbstverständlich für ihr gesamtes Team.

Ich danke Ihnen.

Dr. Peter Büttner