Herr Vorsitzender, Meine Damen und Herren,
der Bürgermeister hat in seiner Rede zur Einbringung des Haushalts eine überaus positive Entwicklung unserer Stadt festgestellt. Er benennt ca. 30 Projekte, die in unterschiedlicher Weise die Entwicklung der Stadt für die nächsten Jahre entscheidend positiv prägen werden. Und in der Tat:
Mit dem Projekt „Langer“ geben wir der Innenstadtentwicklung einen neuen Schub und eine Richtung, die eine Belebung der Innenstadt entscheidend beeinflussen kann. In Verbindung mit dem Projekt der Kreissparkasse und anderen diversen Einzelprojekten, entsteht eine neue Dynamik, die wir so in dem letzten Jahrzehnt auch nicht annähernd vorzuweisen hatten. Die Entwicklung der beiden neuen Baugebiete Brunkenberg und Brückengrund wird nicht nur einen Bedarf decken, sondern auch hoffentlich neue Menschen in unsere Stadt bringen und damit Kaufkraft generieren. Der Ansatz des Bürgermeisters, in diesen Prozess möglichst viele gesellschaftliche Kräfte – von Wirtschaft und Handel – zu integrieren, hat den innerstädtischen Diskurs belebt, zu vielen neuen Initiativen und kulturellen Veranstaltungen geführt.
Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten Jahren des Öfteren darauf hingewiesen, dass insbesondere die Versuche, die politischen Kräfte aktiver einzubeziehen, natürlich grundsätzlich sehr lobenswert sind, aber natürlich nur dann, wenn ein echtes Interesse an einem politischen Diskurs über Projekte steht. Manchmal jedoch entsteht der Eindruck, dass der Harmoniekurs, gekennzeichnet als Einbindung, oft dazu dient, die vorher feststehende Option quasi harmonistisch durchzusetzen. Dann jedoch ist dieser Kurs kontraproduktiv und die Reaktion beschreibt man am besten mit Goethe: „Man merkt die Absicht und ist verstimmt“. Dennoch, kann man alles in allem in einer Gesamtbetrachtung dem Bürgermeister in weiten Bereichen seiner Beschreibung der Lage der Stadt zustimmen.
Allerdings: alle Entscheidungen die man trifft, haben ihren Preis und es gibt immer auch eine andere Perspektive auf diese Entscheidungen.
Meine Damen und Herren, ich war sehr angenehm überrascht, als ich beim Nachlesen der Rede des Bürgermeisters zur Einbringung des Haushalts tatsächlich auf zwei selbstkritische Fragen dieses Prozesses gestoßen bin. Der Bürgermeister fragt nämlich: 1. „Warum stürzen wir uns auf so viele Projekte?“ Und er fragt kurz danach: 2. „Warum aber alles auf einmal und nicht nach und nach?“ Und in der Tat sind dies ja auch Fragen, die in der Öffentlichkeit, sowohl im politischen Raum wie im allgemeinen gesellschaftlichen Kontext, immer wieder zum Prozess der Stadtentwicklung in Schlüchtern gestellt werden. Und es ja auch legitim und naheliegend, diese Fragen zu stellen, sie müssen gar nicht im Widerspruch dazu stehen, dass man die Grundentwicklung der Stadt und die neue Dynamik für außerordentlich positiv hält.
Bedauerlicherweise hat der Bürgermeister die selbst gestellten Fragen entweder sehr unkomplex oder nicht wirklich beantwortet und insofern sind sie rhetorische Fragen geblieben. Die erste Frage, „Warum stürzen wir uns auf so viele Projekte?“, wird von ihm mit dem Hinweis beantwortet, dass man eben viele Jahre wenig oder gar keine großen Projekte gemacht habe und dass ein großer Nachholbedarf besteht. Dies beantwortet natürlich nicht die entscheidende Frage in diesem Aspekt, nämlich, warum so viele und ob nicht etwas weniger besser gewesen wäre. Die zweite Frage, „Warum aber alles auf einmal und nicht nach und nach?“, wird schlicht damit gerechtfertigt, dass nur jetzt die Fördergelder zur Verfügung standen. Dies ist natürlich ein klassisches Totschlagargument, das wir aus früheren Zeiten schon kennen, und das dem komplexen Entscheidungshintergrund dieser sehr berechtigten Fragestellung auch nicht annähernd gerecht wird. Denn auch hier könnte ja möglicherweise eine Antwort darin liegen, dass man auf einige Fördergelder verzichtet, aus ganz unterschiedlichen Gründen, etwa weil man die Projekte jetzt nicht stemmen kann, die Verwaltung überlastet ist oder die Folgekosten zu riskant sind, was auch immer. Dies alles verweist auf einen entscheidenden Mangel des Reflexionshintergrundes der strategischen Entwicklung des Haushalts und der Stadtpolitik seitens des Bürgermeisters und der Verwaltung. Es ist weder in der öffentlichen Debatte, noch in irgendwelchen Strategiepapieren nachvollziehbar, ob und an welcher Stelle in einer systematischen Analyse den in Gang gesetzten Projekten und Entwicklungen worst case Szenarien oder mögliche Risiken gegenübergestellt, abgewogen und in die Entscheidungen mit eingebracht wurden. Möglicherweise gibt es in der Verwaltung eine geheime „Kammer des Schreckens“ in der dieser Diskurs geführt wird, ich weiß das nicht, und wenn Einbindung, dann wäre genau hier der richtige Ort.
Ich versuche nun demzufolge, spezifische Risiken und Bedenken aufzuzeigen, die möglicherweise in der Zukunft erschwerende Faktoren sind und diskutiert und bedacht werden müssen.
- Ich erinnere daran, dass unser Schuldenstand unverändert bei ca. 30 Mio Euro steht. Diese Last und die damit verknüpften Konsequenzen, Tilgungsleistungen et cetera pp, werden uns noch Jahrzehnte begleiten und dies vielleicht auch unter wirtschaftlich ungünstigeren Zeitpunkten, was etwa den Zinssatz betrifft.
- In den anstehenden nächsten zwei bis vier Jahren ist zumindest auf drei Ebenen mit weiteren Kosten zu rechnen, die on top von uns und dann aber dauerhaft bewältigt werden müssen, insofern sie dann auch Pflichtleistungen sind: ab 2022 müssen wir einen Liquiditätspuffer von ca. 600.000 Euro und für die Tilgung Hessenkredits einen Betrag von ca. 400.000 im Haushalt ausweisen müssen. Ich erinnere auch nochmal daran, dass wir zum Stichtag 31.12. zudem keinen Kassenkredit mehr vorhalten dürfen. Außerdem ist zudem davon auszugehen, dass im Rahmen der Bewältigung des Klimawandels mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass hier zusätzliche investive Mittel auch im kommunalen Bereich aufgewendet werden müssen.
- Wir haben einen großen Investitionsstau in Bezug auf die Gemeindestraßen. Gleiches gilt für die Kanalisation. Dies sind sozusagen Geschäfte des täglichen Lebens einer Stadt und sie sind Pflichtleistungen.
- Wir alle freuen uns über den Zuzug von Engelbert Strauss und sind froh, dass es uns gelungen ist, in den letzten Jahren auch andere Firmen zur Ansiedlung in die Schlüchterner Region zu bewegen. Hier geht es am Ende des Tages auch immer um die Gewerbesteuer. Sie alle wissen, das Gewerbesteueraufkommen ist ein fragiles Gebilde, insofern insbesondere die großen beteiligten Firmen mannigfache Möglichkeiten haben, auf die Höhe der Gewerbesteuer bis zu einem gewissen Grad Einfluss zu nehmen. D. h. der Berechenbarkeitsgrad des Gewerbesteueraufkommens ist – freundlich ausgedrückt – ungenau, ein tückisches Problem besteht zudem darin, dass – wenn etwa eine Gewerbesteuerzahlung nicht gegeben ist – sich dann sogar manchmal Rückzahlungsverpflichtungen bereits bezahlter Gewerbesteuer aus den Vorjahren für uns ergeben, also nochmals zusätzliche Belastungen.
- Im gleichen Zusammenhang ist die Niedrigzinspolitik zwar seit jetzt vielen Jahren präsent, aber wie lange noch weiß niemand, und wenn sich hier eine Änderung vollzieht, verändern sich damit entscheidende wirtschaftliche Parameter, die unseren Haushalt unmittelbar beeinflussen.
- Wir alle erhoffen uns von dem Projekt „Langer“ mit all den Nebenprojekten eine Belebung der Innenstadt, um die zum Teil ja wirklich schlimmen Entwicklungen in anderen vergleichbaren Städten zu vermeiden. Was aber, wenn dies so nicht eintrifft, wenn also die Angebote in der Innenstadt nicht angenommen werden und sie nicht die Anziehungskraft ausüben wie sie viele Jahre durch das Kaufhaus Langer gegeben war, und die Angebote am Stadtrand sowie der Internetkauf doch verstärkter in Anspruch genommen werden?
- Ich habe in den letzten beiden Haushaltsreden immer wieder einen Überblick über die Nachhaltigkeitskosten der großen Projekte eingeklagt. Denn ganz jenseits der konkreten Finanzierung der Projekte und der Finanzierung des Eigenanteils entstehen selbstverständlich nachhaltige Folgekosten der Instandhaltung, der Bewirtschaftung mit Personal- und Sachkosten. Trotz dieses Hinweises liegt bis heute kein ausgearbeiteter Überblick zumindest einmal für das Kultur- und Begegnungszentrum vor, was uns das am Ende des Tages kosten wird, was es uns an anderer Stelle Kosten einspart, et cetera pp.. Auch hier zeigt sich die vorhin beschriebene unzureichende Reflexion des Gesamtprozesses.
- Wenn Sie sich die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Schlüchtern sowie die Entwicklung der demographischen Struktur anschauen, dann zeigen sich auch dort erschwerende Faktoren für die zukünftige Entwicklung.
Nach wie vor haben wir ein negatives Delta zwischen Geburten und Sterberate, zwischen Zuzug und Wegzug. D.h., die Stadt wird sukzessiver kleiner. In der demographischen Analyse zeigt sich, dass wir in der prospektiven Planung eine zunehmende Verschiebung der Alterspyramide – wie in der Bundesrepublik überhaupt – in Richtung der Bevölkerungsgruppen haben, die nicht mehr aktiv am Steueraufkommen teilnehmen. Dies gilt es zu berücksichtigen und zu überlegen, was bedeutet das etwa für unseren Anteil an der Einkommenssteuer und an der Einschätzung der zukünftigen Kaufkraft.
- Ein kurzer Blick auf europapolitische und weltpolitische Aspekte, die auch uns betreffen können, reicht, um unruhig zu werden und darüber nachzudenken, welche Szenarios damit Deutschland und damit letztendlich auch die Kommunen beeinflussen werden. Wir haben weltpolitisch eine Rückkehr in die Nationalstaatlichkeit mit vielen Parallelen zum ausgehenden 19. Jahrhundert, der Brexit und seine Folgen sind derzeit nicht kalkulierbar, die Politik der gegenwärtigen amerikanischen Administration löst Handelsirritationen aus und ist ebenfalls nicht kalkulierbar.
Meine Damen und Herren, diese Aufzählung ist nicht destruktiv gemeint, wir begrüßen den grundsätzlichen Prozess der Stadtentwicklung selbstverständlich und wir haben sie ja auch in nahezu allen Punkten mitgetragen. Freilich ist es auch eine Pflicht, auf die eben geschilderten Aspekte hinzuweisen, und ich wiederhole den dringenden Appell, einen Diskurs zu institutionalisieren, der neben der Euphorie und der respektablen Dynamik eben auch die kritischen Faktoren mit berücksichtigt und gewichtet. Gestatten Sie mir hier eine Anregung. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig es ist, das Tagesgeschäft in einer dynamischen und innovativen Entwicklungsphase einer Institution zu bewältigen und gleichzeitig ein Format zu finden, in dem man mit Abstand und Analytik und ohne die Zwänge des Tagesgeschäfts, reflektieren und abwägen kann. Ich bin überzeugt davon, dass dies im normalen Tagesgeschäft nicht wirklich machbar ist.
An dieser Stelle empfehlen wir darüber nachzudenken, ob man die Aufgaben der Planung und Analyse der Stadtentwicklung nicht im laufenden Geschäft der Verwaltung abwickelt, sondern ein eigenes Format und eine Organisationsform entwickelt, um einen höheren Grad an Professionalität und Analysekraft zu erreichen. An dieser Stelle könnten dann auch gesellschaftliche Gruppen – etwa ehrenamtlich – mit am Prozess beteiligt werden.
Diese Idee folgt dabei Vorschlägen, die unsere Fraktion in den vergangenen Jahren eingebracht hatte – damals für die Aufgabe der Kulturpolitik – nämlich bspw. eine ausgelagerte GmbH zu gründen, um einerseits Kulturpolitik aus dem politischen Geschäft herauszuhalten, aber auch um bei der Realisierung der Projekte größere Spielräume zu erzielen als dies in öffentlicher Trägerschaft möglich ist. Diese Grundüberlegungen sind gerade heute hochaktuell.
Soweit zu meinen allgemeinen Bemerkungen. Lassen Sie mich kurz und abschließend noch zu einigen konkreten Punkten des Haushalts kommen.
1. Zu den Baugebieten
Die FDP Fraktion hat im letzten Haushalt einen Antrag eingebracht, zusätzliche Planungskosten für die Entwicklung weiterer Baugebiete einzustellen. Dies ist einstimmig übernommen worden. Wir glauben, dass dies ein entscheidender Punkt sein wird. Wir benötigen weitere und großflächige Baugebiete im Gebiet der Kernstadt, und zwar sowohl für Wohnen wie für gewerbliche Zwecke. Nur wenn es uns gelingt, weitere Menschen zum Zuzug in unsere Stadt zu bewegen, werden wir das demographische Delta überwinden und die neu geschaffenen infrastrukturellen Bedingungen in der Stadt gewinnen nochmals hohe Relevanz und auch eine nachhaltige Funktionalität. Dabei müssen auch unkonventionelle Strategien entwickelt werden, wie sie von unserer Fraktion für den Brunkenberg eingebracht wurden. Aus unserer Sicht ist dies eine der zentralen Aufgaben der nächsten Zeit.
2. Aufgabenbereich der Kindertagesstätten
Hier sind wir gut aufgestellt, wir haben auf den steigenden Bedarf allgemein und den spezifischen Bedarf U3 angemessen reagiert. Im Vordergrund der weiteren Entwicklung stehen zwei zentrale Aspekte. Wir müssen davon ausgehen, dass die Aufwendungen für den Kindertagesstättenbereich nach oben gehen, zum einen aus den verstärkten personellen Anforderungen und den damit verknüpften Lohnsteigerungen, zum anderen aus den immer stärker werdenden inneren Differenzierungen, die zu Gruppenreduktionen und erhöhtem Spezialaufwand führen werden. Auch dies werden Zusatzkosten sein. Es gilt in Zukunft, die Kooperationsverträge mit den freien Trägern auf den Prüfstand zu stellen, um stärker Synergien zwischen kommunalen Kindergartenbereich und den freien Trägern zu gewinnen. Bei allem Respekt vor der Subsidiarität und den Freiräumen der freien Träger ist dieser Prozess alternativlos.
3. Bedarfsanalyse des Kultur- und Begegnungszentrums
Eine differenzierte Bedarfsanalyse der im Kultur- und Begegnungszentrum vorgesehenen Einrichtungen und den damit verknüpften nachhaltigen Kosten, ist zwingend und ist ja auch in der Programmatik für den Sozialausschuss beschlossen und vorprogrammiert. Dies gilt aus unserer Sicht natürlich für die Frage des Kuki und auch und insbesondere für die Kleinmarkthalle.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei Frau Kohlepp und ihrem Team für die wie immer konstruktive und detailgenaue Antwort auf die von uns gestellten Fragen und für die Aufstellung des Haushalts.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Peter Büttner